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Grundzüge der Arzthaftung in Deutschland aus zivil- und strafrechtlicher Perspektive

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1. Einleitung
Im Folgenden soll die zivilrechtliche Haftung bei ärztlichem Fehlverhalten in Deutschland in ih-
ren Grundzügen vorgestellt werden. Des Weiteren soll ein Überblick über die strafrechtliche Ver-
antwortlichkeit für Behandlungs- und Aufklärungsfehler gegeben werden.

2. Zivilrechtliche Grundlagen der Arzthaftung

Die zivilrechtliche Haftung für ärztliches Fehlverhalten richtet sich nach den Regelungen des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).1 Sie kann sich dabei sowohl aus Vertrags- als auch Deliktsrecht
ergeben. Die vertragliche Haftung knüpft in der Regel an den Behandlungsvertrag an und richtet
sich nach § 280 Abs. 1 BGB.2 Im Unterschied hierzu bedarf es bei einer deliktischen Haftung
nach der Grundnorm des § 823 Abs. 1 BGB keiner vertraglichen Sonderverbindung zwischen An-
spruchsteller und -gegner. Die Unterscheidung zwischen Delikts- und Vertragsrecht hat geringe
praktische Relevanz, weil beide Haftungsnormen ähnliche Voraussetzungen aufweisen und typi-
scherweise zum selben Ergebnis führen.3 Daher sollen die Grundzüge der Arzthaftung im Folgen-
den exemplarisch anhand der vertraglichen Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB erläutert werden,
welche durch die Spezialregelungen der §§ 630a-h BGB zum ärztlichen Behandlungsvertrag er-
gänzt werden.

2.1. Haftungsvoraussetzungen nach § 280 Abs. 1 BGB

Die Voraussetzungen der allgemeinen Vertragshaftung, welche auch beim Arzthaftungsrecht zur
Anwendung kommen, sind in § 280 Abs. 1 BGB niedergelegt:

„Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des
hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtver-
letzung nicht zu vertreten hat.“

Um die Haftung eines Arztes zu begründen, müssen demnach folgende, im Weiteren näher erläu-
terte Voraussetzungen erfüllt sein:

Schuldverhältnis

Pflichtverletzung

1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, ber. S.
2909 und 2003 I S. 738), das zuletzt durch das Gesetz vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3515) geändert worden
ist, abrufbar unter (letzter Abruf dieser und aller weiteren Internetquellen am 10. September 2021):

https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/
(dt.) / https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_bgb/ (engl. Stand der englischen Fassung: 1. Oktober 2013).
2 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 630a Rn. 105.

3 Dies wird in der Literatur bisweilen als „Gleichlaufprinzip“ bezeichnet, aufgrund dessen in der Rechtsprechung nicht mehr zwischen den beiden Anspruchsgrundlagen unterschieden werde, siehe Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 1072, 1082. Relevanz hat die Unterscheidung dort, wo keine vertragliche Haftungsgrundlage zum Anspruchsgegner besteht, z.B. bei angestellten Krankenhausärzten, siehe hierzu Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 1083.

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Vertretenmüssen

Schaden

Kausalität

2.1.1. Schuldverhältnis

Das Schuldverhältnis ist regelmäßig im dem Arzt-Patienten-Verhältnis zugrunde liegenden Be-
handlungsvertrag (§ 630a BGB) zu sehen.

2.1.2. Pflichtverletzung

Eine Pflichtverletzung des Arztes kommt vorwiegend unter zwei Gesichtspunkten in Betracht,
dem des Behandlungs- und dem des Aufklärungsfehlers.4

Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die Behandlung hinter dem gemäß § 630a Abs. 2 BGB ge-
schuldeten allgemein anerkannten fachlichen Standard zurückbleibt. Der Begriff des ärztlichen
Standards wird dabei maßgeblich durch Leitlinien geprägt, die von fachärztlichen Gesellschaften
oder Kommissionen verabschiedet werden.

5 Allgemein gesprochen ist ein Arzt zu denjenigen
Maßnahmen verpflichtet, „die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufs-
fachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden“.6 Verfügt ein Arzt je-
doch über den Standard hinausgehendes Spezialwissen, ist er zur Anwendung verpflichtet und
kann sich nicht auf den niedrigeren Standard zurückziehen.7 Die Bindung des Arztes an den ärzt-
lichen Standard bedeutet zudem nicht, dass er nur auf die anerkannten Behandlungsmethoden
beschränkt wäre. Auch bei sog. Neulandmethoden liegt kein Behandlungsfehler vor, wenn eine
verantwortliche medizinische Abwägung der Vor- und Nachteile der neuen Behandlungsme-
thode eine Anwendung rechtfertigt.

Ein Aufklärungsfehler ist hingegen zu bejahen, wenn der Behandelnde seine Aufklärungspflich-
ten nach § 630e BGB verletzt hat. Hierzu gehören alle Umstände, die für die Einwilligung des Pa-
tienten in den Eingriff (§ 630d BGB) wesentlich sind, insbesondere „Art, Umfang, Durchführung,
zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahmen sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eig-
nung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“ (§ 630e Abs. 1).

4 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 1076; vgl. insoweit auch die Überschrift des § 630h BGB.

5 Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, 59. Edition, Stand: 1. August 2021, § 823 Rn. 796.

6 Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 29. November 1994, Az.: VI ZR 189/93, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1995, 776 (777).

7 Deuring, Arzthaftungsrecht, Teil 1: Grundzüge, Juristische Schuldung (JuS) 2020, 489 (491

8 Deuring, Arzthaftungsrecht, Teil 1: Grundzüge, JuS 2020, 489 (491); BGH, Urteil vom 13. Juni 2006, Az.: VI ZR
323/04, NJW 2006, 2477.

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2.1.3. Vertretenmüssen

Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Gläubiger nur für solche Pflichtverletzungen einzustehen,
die er auch zu vertreten hat. Diese Formulierung wird näher durch § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB er-
läutert. Hiernach hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wobei gem. § 276
Abs. 2 BGB fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (d.h. bei der Arzthaftung
den fachlich anerkannten Standard, hierzu Ziffer 2.1.2) außer Acht lässt.

2.1.4. Schaden

Die Berechnung des ersatzfähigen Schadens richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB. Nach § 249
Abs. 1 BGB ist der Anspruchsteller in den vermögensmäßigen Zustand zu versetzen, der „beste-
hen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“ Es ist also ein
Vergleich der aktuellen Vermögenslage mit der hypothetischen Lage durchzuführen, die ohne
den Behandlungsfehler eingetreten wäre (sog. Differenzhypothese).9 Hierunter fallen etwa die
Kosten von späteren Nachbehandlungen.10

Neben diesen reinen Vermögensschäden können Geschädigte regelmäßig auch Ersatz für Nicht-
vermögensschäden in Form von Schmerzensgeld verlangen. Das deutsche Recht sieht für imma-
terielle Schäden zwar grundsätzlich keine Entschädigungspflicht vor (§ 253 Abs. 1 BGB). Hiervon
wird allerdings bei solchen immateriellen Schäden eine Ausnahme gemacht, die durch Verlet-
zung u.a. des Körpers und der Gesundheit verursacht werden (§ 253 Abs. 2 BGB). Das ist bei
Arzthaftungsfällen in der Regel der Fall. Die Höhe des Schmerzensgeldes richtet sich nach den
Umständen des Einzelfalles, wobei sich die Gerichte in der Praxis regelmäßig mithilfe von
Schmerzensgeldtabellen an vorher ergangenen Urteilen in ähnlichen Fällen orientieren, um eine
Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen.11

2.1.5. Kausalität

Eine Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung des Arztes und
dem entstandenen Schaden eine ursächliche Verbindung besteht (sog. haftungsbegründende Kau-
salität).

2.2. Beweislast

Im deutschen Zivilprozess trägt grundsätzlich jede Partei, welche den Eintritt einer Rechtsfolge
geltend macht, die Beweislast für die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes.12 Dieser

9 Johannes W. Flume, in: Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, 59. Edition, Stand: 1. August 2021, § 249 Rn. 37 m.w.N.

10 Deuring, Arzthaftungsrecht, Teil 1: Grundzüge, JuS 2020, 489 (491).

11 Clausen/Schroeder-Printzen (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Auflage 2020, § 2 Rn. 225.

12 Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar ZPO, 40. Edition, Stand: 1. März 2021, § 284
Rn. 72.

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Grundsatz gilt auch im Arzthaftungsrecht: Der Patient hat daher insbesondere das Vorliegen ei-
nes Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers und die Kausalität der Pflichtverletzung für die erlit-
tenen Schäden zu beweisen.13 Das bereitet dem Anspruchsteller, welcher für gewöhnlich nicht
über medizinisches Fachwissen verfügt und keinen Einblick in die Organisationsstruktur eines
Krankenhauses oder Praxisbetriebs hat, regelmäßig große Schwierigkeiten.14 Dieser häufig beste-
henden Beweisnot trägt § 630h BGB Rechnung. Die Regelung enthält weitreichende Beweiser-
leichterungen zugunsten des Patienten betreffend:

das Vorliegen eines Behandlungsfehlers bei Verwirklichung eines voll beherrschbaren Be-
handlungsrisikos (§ 630h Abs. 1 BGB),

das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung sowie einer ordnungsgemäßen Aufklärung
(§ 630h Abs. 2 BGB),

die ordnungsgemäße Dokumentation einer medizinisch gebotenen wesentlichen Maß-
nahme (§ 630h Abs. 3 BGB),

die mangelnde Befähigung des Behandelnden zur vorgenommenen Behandlung (§ 630h
Abs. 4 BGB) und

die Kausalität zwischen groben Behandlungsfehlern und der entstandenen Verletzung
(§ 630h Abs. 5 BGB).

2.3. Gerichtliche Geltendmachung

Der Arzthaftungsprozess unterscheidet sich nicht von gewöhnlichen Schadensersatzprozessen
und wird nach den allgemeinen Regeln vor dem Amtsgericht oder im Falle eines Streitwerts
von über 5.000 Euro vor dem Landgericht durchgeführt (§§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 Gerichtsverfas-
sungsgesetz15). In der Praxis verfügen die Gerichte allerdings häufig über spezialisierte Fachkam-
mern oder senate, um die oft komplizierte Sachmaterie des Arzthaftungsrechts angemessen be-
handeln zu können.16

3. Strafrechtliche Haftung für ärztliches Fehlverhalten

Neben der zivilrechtlichen Haftung können Behandlungs- und Aufklärungsfehler auch strafrecht-
lich relevant sein. Nach ständiger Rechtsprechung stellen selbst kunstgerecht erfolgte medizi-

13 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 630h Rn. 7 m.w.N.

14 Katzenmeier, in Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, 59. Edition, Stand: 1. August
2021, § 630h Rn. 10.

15 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch das Gesetz vom 7. Juli 2021 (BGBl. I S. 2363) geändert worden ist, abrufbar unter:
https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/ (dt.) / http://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gvg/ (engl. Stand der englischen Fassung: 10. Juli 2020).
16 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Auflage 2021, Rn. 53.

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nische Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit oder Gesundheit eine tatbestandsmäßige Kör-
perverletzung i.S.d. § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)17 dar, welche jedoch durch eine wirk-
same Einwilligung des Patienten in den Eingriff (§ 630d BGB) gerechtfertigt werden.18

Hieraus ergibt sich, dass sowohl Behandlungs- als auch Aufklärungsfehler zu einer strafrechtli-
chen Verantwortlichkeit des behandelnden Arztes führen können. Denn die Einwilligung des Pa-
tienten erstreckt sich im ersten Fall nur auf eine „lege-artis“ durchgeführte Behandlung und hat
keine rechtfertigende Wirkung bei einem fehlerhaft durchgeführten Eingriff.19 Im Falle eines Auf-
klärungsfehlers ist die Einwilligung des Patienten hingegen bereits a priori unwirksam (§ 630d
Abs. 2 i.V.m. § 630e Abs. 1-4 BGB) und kann eine spätere Behandlung nicht mehr rechtfertigen,
selbst wenn diese kunstgerecht erfolgt.

Indes ist zu betonen, dass regelmäßig nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung
(§ 229 StGB) bzw. fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) in Betracht kommt. Eine Strafbarkeit wegen
vorsätzlicher Körperverletzung (§§ 223, 224, 227 StGB) oder sogar Tötungsdelikten (§§ 211, 212
StGB) scheidet dagegen in der Regel aus.20 Weiterhin ist zu beobachten, dass bei nur leichter
Fahrlässigkeit des behandelnden Arztes Strafverfahren in der Praxis häufig (z.B. wegen Geringfü-
gigkeit der Schuld nach § 153 Strafprozessordnung21) eingestellt werden und zu keiner Verurtei-
lung führen.22

***

17 Strafgesetzbuch (StGB), in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das
zuletzt durch das Gesetz vom 12. August 2021 (BGBl. I S. 3544) geändert worden ist, abrufbar unter:

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/
(dt.) / https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stgb/ (engl. Stand der englischen Fassung: 19. Juni 2019).
18 Ständige Rechtsprechung des BGH, siehe etwa BGH, Urteil vom 30. Januar 2019, Az.: 2 StR 325/17 Rn. 12, zitiert nach juris.

19 Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Kommentar zum StGB, 30. Auflage 2019, § 223 Rn. 51.

20 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage 2019, § 149 Rn. 11; Deutsch/Spickoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, Einleitung Rn. 113.

21 Strafprozessordnung (StPO), in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319), die zuletzt durch das Gesetz vom 12. August 2021 (BGBl. I S. 3544) geändert worden ist, abrufbar unter:
https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/ (dt.) / https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stpo/ (engl. Stand der englischen Fassung: 11. Juli 2019).
22 Deutsch/Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, Einleitung Rn. 114.

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